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10.04.2024

Betriebe werden inklusiv

Inklusion ist ein Gewinn für alle. Man muss es nur vernünftig angehen und adäquate braucht Unterstützung

Hier öffnen sich gerade Türen für die inklusive Beschäftigung. Wer das Betriebsgelände der Lorenz Montagesysteme GmbH gezeigt bekommt, muss gut zu Fuß sein: Tausende Quadratmeter messen die Hallen und Betriebs-räume des Herstellers von Befestigungsanlagen für Photovoltaik und Solar-thermie westlich von Köln. Die erneuerbaren Energien stehen hoch im Kurs, also sind auch Anlagen zu ihrer Erzeugung gefragt, und so hat das Unternehmen vor kurzem noch weitere Flächen von benachbarten Firmen dazu gemietet. Auch bei den Arbeitskräften konnte aufgestockt werden. Betriebsleiter Matthias Lade berichtet, dass sich die Zahl der Beschäftigten – 45 sind es aktuell – binnen eineinhalb Jahren nahezu verdoppelt hat.


Woher die notwendige Manpower?

Einfach war es aber nicht, in der Arbeits- und Fachkräfteflaute die notwendige Manpower für das Unternehmen einzukaufen. Das ist einer der Grün-de, warum beim Frechener Hersteller auch Menschen eine Chance haben, die nach längerer Arbeitslosigkeit eine Umschulung durchlaufen haben oder die wegen einer seelischen Behinderung eine spezielle Unterstützung brauchen, um erstmals oder erneut auf dem ersten Arbeitsplatz Fuß zu fas-sen. Bei Lorenz arbeiten aktuell vier Menschen mit Behinderung, zwei auf betriebsintegrierten Arbeitsplätzen einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und zwei in Arbeitnehmerüberlassung vom Inklusionsdienstleis-ter ProjektRouter in Köln. Letztere fertigen und verpacken Montageteile von Hand, sie sollen demnächst von der Lorenz Montagesysteme GmbH in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden.

Auch mit den betriebsintegrierten Beschäftigten ist Matthias Lade sehr zu-frieden. Einer ist auf einem Büroarbeitsplatz in der Arbeitsvorbereitung tä-tig. Er bucht z.B. Fertigungsaufträge und erstellt Listen am PC. „Zu Beginn war er sehr unsicher und musste sich erstmal an die vielen Kollegen und Kolleginnen und die Umgebung gewöhnen. Heute bewegt er sich sicher im ganzen Unternehmen, wie ein langjähriger Mitarbeiter. Das Telefonieren fällt ihm noch schwer. Aber auch das wird er irgendwann können“, , zeigt sich Matthias Lade überzeugt.

Bedingt durch seinen beruflichen Werdegang war es ihm wichtig, das Thema Inklusion bei der Firma Lorenz Montagesysteme GmbH voranzubrin-gen. Der gelernte Metallbauer hat daher direkt im Vorstellungsgespräch den Geschäftsführer gefragt, wie er zur Inklusiven Beschäftigung steht. Sofort war klar, dass dies ein gemeinsamer Wunsch ist.

Lehrgeld


In seinem früheren Berufsleben hat Matthias Lade Maschinen bedient. Weil er Geschick im Umgang mit Kollegen zeigte, wurde er in verschiedenen Unternehmen mit Leitungsaufgaben betraut. Erste Erfahrungen mit Menschen mit Behinderung sammelte er als Abteilungsleiter in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen, danach hat er ein Inklusionsunternehmen mit den Tätigkeitsfeldern Zerspanung, Innenausbau und Garten-/ Landschaftsbau geleitet. Im Inklusionsunternehmen gab es eine ungefähre Quote von 50/50 an Mitarbeitern mit und ohne Schwerbehinderung. Fach-kräftemangel, wie auch Wirtschaftlichkeit aufgrund tariflicher Entlohnung, waren dort immer große Themen.

Bei Lorenz ist man noch meilenweit von solch hohen Inklusionsquoten entfernt – und als Wirtschaftsunternehmen sei man auch nicht bestrebt, diese zu erreichen, erklärt Matthias Lade. Gemeinsam mit der Geschäftsführung sieht er dennoch eine Menge Luft nach oben. Inklusion sei ein Gewinn für alle. Man müsse es eben nur vernünftig angehen und brauche Unterstüt-zung. Im Frechener Metallbetrieb werden alle Menschen mit seelischen Behinderungen von ProjektRouter begleitet. Die Coaches des Kölner Inklusi-onsdienstleisters haben die Arbeitskräfte mit eingearbeitet und besuchen sie regelmäßig am Arbeitsplatz.

Wie Inklusion gelingen kann

„Menschen mit Behinderung sind Kollegen wie alle anderen auch“, betont Matthias Lade. Trotzdem müsse man im direkten Umfeld Bescheid wissen, wenn Besonderheiten zu beachten sind und wie man damit umgehen kann.

Aus seiner Zeit in der Werkstatt und dem Inklusionsunternehmen erinnert sich der Betriebsleiter noch an einige eigene Aha-Erlebnisse: „Bei einem Mitarbeiter mit einer Störung aus dem Autismus-Spektrum habe ich einmal leicht seinen Arbeitsablauf verändert, weil ich fand, dass er seine Aufgabe etwas umständlich anging. Da hat er dann gar nichts mehr gemacht. Ich musste erst lernen, dass für Menschen mit diesem Krankheitsbild feste Abläufe meistens ganz wichtig sind. Ein anderer Kollege war so motiviert, dass er mehr geleistet hat, als eigentlich notwendig war und auch ihm selbst guttat. Irgendwann brach er weinend zusammen. Er hatte eine Psy-chose. In die Klinik ging er aber nur unter der Bedingung, dass ich ihn dorthin begleite. Er wollte sicher sein, dass ich auch darin hinter ihm stehe.

Seitdem bin ich sensibilisiert für die Belastungen, die unter anderem aus selbstauferlegten Anforderungen erwachsen können.“

Den gehandicapten Arbeitskräften hat er bei der Einstellung Kollegen an die Seite gestellt, die bereit und in der Lage waren, ein bisschen auf sie zu achten. Ein Mitarbeiter geht immer noch einmal in der Woche in eine Schulung des Inklusionsdienstleisters ProjektRouter. Ausfälle durch Krankheit halten sich aber an allen inklusiven Arbeitsplätzen im Rahmen des Übli-chen. Wenn Matthias Lade demnächst die Festanstellung der beiden Arbeitskräfte in der Montage angeht, wird er selbst Unterstützung durch ProjektRouter in Anspruch nehmen. Denn die Formalitäten bei der Beantragung der Mittel sind ihm nicht vollumfänglich geläufig. „Das ist für Laien teilweise sehr unübersichtlich.“

Für eine bessere Teilhabe

Mit ähnlich engagierten Unternehmen hat die Lorenz-Montagesysteme GmbH, vertreten durch Matthias Lade, vor einiger Zeit das Inklusive Unter-nehmensnetzwerk gegründet, das sich eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt und den Ausbau der Inklusion in den Unternehmen auf die Fahnen geschrieben hat.

Im Netzwerk, in dem aktuell 13 Firmen zusammengeschlossen sind, tauscht man sich aus. Unternehmen mit mehr Erfahrung beraten solche, die noch neu in der betrieblichen Inklusion sind. Im Mai 2023 war das Inklusive Unternehmensnetzwerk auch auf der LWL-Messe der Inklusionsunter-nehmen in Dortmund vertreten. Im Herbst folgte dann die Vereinsgrün-dung. Die Erstellung einer Homepage steht kurz vor dem Abschluss.

„Inklusion ist was Gutes“, , wirbt Betriebsleiter Matthias Lade. „Jedes Unternehmen lebt von seinen Mitarbeitenden, egal, ob sie eine Schwerbehinde-rung haben oder nicht. Man muss es wollen, annehmen und leben. Und die Kollegen von Beginn an einbeziehen und mitnehmen.“ Auch Stefan Heinrich ist, mit der ProKlin Service GmbH, Mitglied im Inklusi-ven Unternehmensnetzwerk. Seit 2013 arbeitet der ehemalige Flugbegleiter für die Cellitinnen-Servicegesellschaften in Köln. Dort verantwortet er als Betriebsleiter heute neben dem Kerngeschäft der GmbH, der Reinigung in Krankenhäusern und Seniorenhäusern, auch die Speisen- und Versorgungs-assistenz. In diesem Bereich hat das Unternehmen mit insgesamt 650 Beschäftigten vor einem Jahr eine Inklusionsabteilung mit zunächst drei Angestellten gegründet. Da man schon länger mit ProjektRouter kooperiere, habe er sich an das Thema Beschäftigung von Menschen mit Behinderung langsam herantasten können, erzählt der 50-Jährige. „Die drei neuen Mitarbeiter z.B. waren vorher beim Inklusionsdienstleister ProjektRouter angestellt und in Arbeitnehmerüberlassung bei uns tätig. Mit Gründung der In-klusionsabteilung haben wir sie in Festanstellung übernommen, und zahlen ihnen selbstverständlich Tariflohn mit vollen Sozialversicherungsbeiträ-gen.“ Weitere sieben Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung sind über Fördermaßnahmen bei der ProKlin Service GmbH tätig.

Der dynamisch wirkende Betriebsleiter, der sich mit seinen Angestellten duzt, sagt, dass er „einen ganz großen Spaß“ daran habe, Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie seien überdurchschnittlich hoch motiviert, jeden Tag pünktlich zu kommen und ihre Leistung abzuliefern. „Und es ist schön zu sehen, wie sie mehr Selbstwertgefühl entwickeln, weil sie in einer Abteilung arbeiten, in der auch Menschen ohne Behinderung tätig sind. Eigentlich fällt es gar nicht auf, dass sie eine Behinderung haben.“

Feingefühl gefragt


Dabei ist die Arbeit in der Speisen- und Versorgungsassistenz im Krankenhaus anspruchsvoll. Die dort Tätigen bereiten die Essenstabletts vor und verteilen Frühstück und Mittagessen an die Patient*innen. Zusätzlich erfragen sie jeden Tag deren Essenswünsche und evtl. Besonderheiten für den nächsten Tag, die auf den Tablets vermerkt werden. Diese Daten müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegen, da sie dann synchronisiert an den Server des Speise-Versorgungsunternehmens übermittelt werden. Bei manchen Patient*innen gilt es, Diäten oder Unverträglichkeiten zu berück-sichtigen. Wichtig ist es auch zu wissen, ob eine Untersuchung oder Operation ansteht, vor der nur flüssige oder gar keine Nahrung erlaubt ist. Dies erfragen die Assistent*innen vor ihrem Rundgang auch im Stationszimmer, damit keine Fehler gemacht werden, die üble Folgen haben könnten. Wenn der Speiseversorger ein eigentlich vorgesehenes Gericht durch ein anderes ersetzt hat, informieren die Speiseassistent*innen die Patient*innen dar-über, manchmal helfen sie auch, wenn jemand Schwierigkeiten hat, sein Essen zu sich zu nehmen.

„Für die Speise- und Versorgungsassistenz brauche ich eine gute Kommu-nikationsfähigkeit, und ich sollte auch über Empathie verfügen, denn ich habe es ja mit kranken Menschen zu tun, die sich vielleicht mit Sorgen und Nöten herumschlagen. Auf die muss ich eingehen können. Auch in der Zusammenarbeit mit den Stationsmitarbeitenden ist eine gute Kommunikati-onsfähigkeit nötig“, skizziert Stefan Heinrich das Qualifikationsprofil. „Und ich trage viel Verantwortung. Ich darf z.B. einem Patienten, der vor einer OP nüchtern bleiben muss, nichts zu essen geben. Außerdem brauche ich Ko-ordinationsgeschick, etwa, um die Bestellschlusszeiten einzuhalten.“

Sven (Pseudonym) ist einer der drei Versorgungsassistenten, die aus der Arbeitnehmerüberlassung in die Festanstellung bei der ProKlin Service GmbH gewechselt sind. Der junge Mann, der gerade auch noch seinen Führerschein gemacht hat, berichtet, die Arbeit mit den Patient*innen und die damit einhergehende Verantwortung bereite ihm Freude. Dass die kranken Menschen ihn manchmal stark beanspruchten, mache ihm nichts aus. „Ich habe einen langen Geduldsfaden“,

„, lächelt er. Stefan Heinrich berichtet, ein

weiterer Assistent aus der Inklusionsabteilung habe erst ein Scheitern in einem anderen Betrieb verarbeiten müssen, wo er massiv entmutigt worden sei. Er ist fast väterlich-stolz darauf, dass der junge Mann dank des guten Arbeitsklimas im Cellitinnen-Krankenhaus St. Vinzenz und der wertschätzenden Einarbeitung inzwischen sein Tief überwinden konnte. „Er macht sich gut.“

Eingespielt

Jeden Morgen zwischen sieben und halb acht Uhr kommen zwölf der insgesamt 16 Assistentinnen und Assistenten in die Versorgungszentrale und holen sich dort ihre Belegungslisten, ihre Tablets und Diensthandys ab.

„Dann werden auch Besonderheiten des Tages nochmal ausgetauscht“, sagt Betriebsleiter Heinrich, „zum Beispiel, wenn wegen Lieferschwierigkeiten ein Gericht durch ein anderes ersetzt wurde. Diese Infos geben wir weiter an die Speise- und Versorgungsassistenten und Menüerfasser, und dabei können wir auch die Tagesform eines jeden checken.“

Nach der Einarbeitung der Menschen mit Behinderung, an der auch der Kölner Inklusionsdienstleister beteiligt war, sei von Seiten des Betriebes kein übermäßig großer Aufwand mehr nötig. „Wir haben einen Dienstleistungs-vertrag mit ProjektRouter, die uns auch mit sozialpädagogischer Expertise zur Seite stehen. Wir rufen dann bei Bedarf Coachings und Beratungsgespräche dort ab“, schildert Stefan Heinrich die bereits Routine gewordene Praxis der Einbeziehung von Menschen mit Handicap.

Unterstützt werden Unternehmen, die Inklusion betreiben, von Inklusions-ämtern und Rehabilitationsträgern. Je nach Situation kann man Mittel für die Einrichtung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen beantragen, es gibt Gelder für Assistenzen, Beratung und Coaching sowie Ausgleich für eine verminderte Leistungsfähigkeit. „Wir könnten vom Landschaftsverband Rheinland auch Mittel für die Einrichtung von Personalräumen, für Schulungen oder etwa auch Arbeitsmaterialien bekommen. Aber davon haben wir für unsere Inklusionsabteilung noch gar nichts abgerufen“, erklärt Stefan Heinrich. Ein betriebsintegrierter Arbeitsplatz in der Waschküche wurde allerdings mit Mitteln des Inklusionsamtes auf den dort tätigen Menschen zugeschnitten. Da diesen das dort übliche Kommen und Gehen aus dem Takt brachte, wurde sein Arbeitsbereich davon abgeschirmt.

Im Moment erfüllen die Cellitinnen-Servicegesellschaften noch nicht die für Betriebe ab 20 Arbeitsplätze geltende Beschäftigungs-Pflichtquote von 5%.

Das heißt, dass sie für die fehlenden inklusiven Arbeitsplätze Ausgleichsabgaben zahlen müssen. Wenn es nach Stefan Heinrich geht, wird sich dies aber langfristig ändern. Keineswegs nur aus finanziellen Erwägungen möchte der Betriebsleiter die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung möglichst bald ausweiten. Eine zweite Inklusionsabteilung soll im großen Reinigungsservice entstehen. Dabei stehen die Türen auch für Menschen mit seelischen Behinderungen weiterhin offen. Ganz gleich, ob es Menschen mit Ängsten, Autismus, Depressionen, Psychosen oder anderen seelischen Einschränkungen sind – Stefan Heinrich lächelt strahlend: „Ich kenne mich noch nicht mit allen Erkrankungen aus, aber wagen würde ich alles. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“


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